Mai 2020

Reliefkopf Hans Berger, 1930, Bronze, 50 x 46 x 6 cm. Kunstsammlungen des Bundes, Bern

Foto: Fotoalbum Otto Roos

 

Seit 1918 schafft Otto Roos mehrmals sogenannte Bildnisplatten, Porträts von Personen im Relief. Diese zeigen die Person jeweils im Profil, vergleichbar einer Darstellung auf einer Münze. Die antikisiernde Strenge, die der Bildtypus ausstrahlt, war in der Zwischenkriegszeit in der Schweiz offenbar beliebt. So wurden Bildnisplatten nicht nur für offizielle Anlässe bestellt – wie etwa das im November 2019 besprochene Reliefporträt von Oberst Bohny – , sondern auch für den privaten Rahmen.

Um eine Mischform aus privatem Anlass und offiziellem Auftrag mag es sich bei der hier besprochenen Arbeit handeln.

1930 hat Hans Berger (1882-1977) in der Kunsthalle Basel eine grosse Ausstellung mit 187 Nummern. Offenbar nimmt Otto Roos diesen Erfolgsmoment zum Anlass, den Künstler in Form einer Bildnisplatte zu porträtieren.

Reliefkopf Hans Berger, 1930, Gipsabguss nach dem definitiven Tonmodell. H. Rüetschi AG, Aarau

Foto: Simeon Jankovic

 

Den wohl auf eigene Kosten hergestellten Bronzeabguss zeigt Roos 1932 – zweimal! – in Luzern, und in Zürich, und 1934 in Bern. Dort wird er aus der Ausstellung vom Bund für seine Kunstsammlungen erworben. Damit wird das Bildniselief Hans Berger zu einer offiziellen Arbeit, ohne dass ihr, soweit feststellbar, ein Auftrag vorausgegangen wäre.

Wie man aus einem kurzen Artikel, der im Mai 1930 in den Basler Nachrichten erschienen ist, erfährt, hatte Otto Roos Hans Berger schon viel früher kennengelernt, im Sommer 1917, und war dem Maler seither freundschaftlich verbunden.

Im Folgenden wird der vollständige Text in der erhaltenen Manuskriptfassung, mit den Streichungen und in Roos‘ Orthographie wiedergegeben:

 

Sommertage mit dem Maler Hans Berger

Es war in den Hochsommertagen des Jahres 1917 als ich Hans Berger zum erstenmale in seinem Malerheim in Commugny sur Coppet aufsuchte. Die schönen Sommermonate wurden von verbrachten Berger’s immer auf dem Lande in einem der malerischen Dörfer, inmitten der Rebberge, mit den Ausblicken auf den herrlichen See, verbracht. Je verträumter u. je mehr abseits vom grossen Verkehr, desto lieber.

Damals konnte man an einem warmen Mai- od. Junimorgen etwa ein Bernerwägeli mit einem braven Braunen od. Schimmel bespannt auf der Landstrasse von Versoix od. Coppet antreffen. Bepackt war der Wagen mit dem nötigsten Hausrat. Mit Kinderbett, Chassis, Rahmen u.s.w. Die jährlich kommende wiederkehrende Sommerfahrt hatte begonnen. Ein einfaches Unterkommen im alten Bauernhause, so die Bedürfnisse des Alltags auf ein Minimum beschränkt waren, hatte zu musste genügen.

Was aber damals u. inzwischen bis heute an malerischer Erfindung u. Poesie entstanden ist, dürfen wir, wenn auch noch lange nicht vollständig od. doch teilweise in den Säälen unserer Kunsthalle dankbar geniessen u. bewundern.

Es ist mir immer zu einem Erlebnis geworden, wie Hans Berger‘s Leben u. Werk sind vollkommene Einheit geworden sind. Disharmonie u. störende Umstände behindern seine Arbeit. Wenn aber das Wenige, was er zum Leben braucht, mit seinem Wesen übereinstimmt, dann steht er mit souveräner Kraft in seiner Arbeit. Die Streifzüge, die ich auf seltenen Besuchen mit ihm durch die merkwürdig grosse u. herbe Landschaft von Genf gemacht habe, werden immer zu meinen schönsten Erinnerungen gehören.

Es darf auch hier gesagt werden, was der Maler Cingria zum im Geleitwort zu der letztjährigen Berger-Ausstellung in Genf bemerkte: „Dass kein Maler die Landschaft Genfs so schön u. wahrhaftig erfasst hat wie Hans Berger.“

Die stille und zurückgezogene Veranlagung Berger’s ist schuld daran, dass dieser ausgezeichnete, nun bald 50 Jährige Künstler bis heute noch weiteren Kreisen so wenig bekannt geworden ist. Der Hoffentlich bringt [unleserlich] die grosse Basler Ausstellung hierin eine Wandlung. Hans Berger, dieser ächte und unbeirrbare Kämpfer u. Künstler hat das schon lange verdient.

Otto Roos

[abgedruckt in Basler Nachrichten, 86. Jhg., Nr. 119, 3./4. Mai 1930]

 

Otto Roos hatte Hans Berger wahrscheinlich über die Solothurner Kunstsammler und Mäzene Josef Müller, Frau Dt. Kottmann-Müller und Oscar Miller in Biberist kennengelernt. Seit 1911 erwarben sie Werke von Berger. Seit 1918 auch Gemälde und Plastiken von Otto Roos. Vermutlich hat Berger Roos bei den Solothurner Sammlern eingeführt. Pflichtschuldig empfiehlt daher Roos anlässlich der grossen Werkschau in der Kunsthalle Basel 1930 mit einem persönlich gefärbten, anekdotisch aufgeladenen Zeitungsartikel die französisch und auch an Holder orientierte Landschaftsmalerei des noch immer wenig bekannten Malers – und organisiert taktisch geschickt in einem mehrjährigen Prozess dessen Anerkennung als offizieller Künstler, indem er ihn mit einer Bildnisplatte in die Kunstbestände des Bundes einbringt.

Ob der Plastiker Otto Roos den Maler Hans Berger im Ausdruck getroffen hat, lässt sich am ehesten anhand von Selbstbildnissen des Malers vergleichen.

Roos lernte Hans Berger 1917 kennen. Zwei Selbstporträts von 1916 und 1918 vermitteln einen Eindruck davon, wie Berger in jenem Jahr ausgesehen haben mochte.

Hans Berger, Selbstporträt, 1916 (links) und Hans Berger, Selbstbildnis vor der Staffelei, 1918

 

Drei Selbstbildnisse von 1930 und zirka 1940 kommen dem Maler Hans Berger nahe, den Otto Roos 1930 modelliert hat.

Hans Berger, Portrait avec Chapeau, c. 1930 (links); Selbstbildnis, c. 1930 (Mitte) und Selbstporträt des Künstlers, c. 1940